Beitrag für Steffen Kraus

Beitrag RA Maas für Festgabe Steffen Kraus

Baurechtler im Wandel - Ein Plädoyer für außerstaatliche Konfliktlösung im Bauwesen auch anhand eines Einzelschiedsverfahrens des Jubilars nach der SOBau der ARGE Baurecht im DAV -

I. Einführung

Der Jubilar ist stets um die Fortentwicklung des Baurechts bemüht und hat bei seinen zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen auch berechtigte Kritik geübt. Die von ihm und seinem Sozius positiv beantwortete Frage: „Der Deutsche Verdingungsausschuss für Bauleistung (DVA): Bremse der VOB/B?“*1  muss zumindest teilweise auch bzgl. der im Herbst 2002 in Kraft getretenen „VOB/B 2002“ bejaht werden. Denn wie etwa soll man Baupraktikern, die sich aufgrund der häufig erst nach weit mehr als zwei Jahren nach Abnahme auftretenden Mängel an die „Vereinbarung der Gewährleistungsdauer von fünf Jahren entsprechend BGB“ gewöhnt haben, erklären, dass der Verdingungsausschuss die 2-Jahresfrist nicht auf die in der Praxis anerkannte 5-Jahresfrist verlängert, sondern stattdessen nunmehr eine 4-jährige Gewährleistungsfrist in § 13 Nr. 4 (1) VOB/B festgeschrieben hat?

 Die „Begründung“ des DVA überzeugt nicht; es ist ausdrücklich von der in der Vergangenheit häufig formulierten Kritik an der VOB/B*2 die Rede und einem dadurch gegebenen Anlass, „die Verjährungsfristen deutlich zu erhöhen“. Von der diskutierten Anpassung an die gesetzlichen Regelungen habe man jedoch abgesehen und nach intensiver Diskussion den „Kompromissvorschlag“ von vier Jahren angenommen, um die auch im neuen Recht enthaltene Privilegierungsmöglichkeit*3 auszunutzen.

Zum Thema: Entsprechend des Titels dieser Festgabe trägt der Jubilar durch seine wissenschaftlichen Beiträge und sein praktisches Wirken als Rechtsanwalt und Schlichter bzw. Schiedsrichter zu einem „Wandel im Baurecht“ bei, der zwangsläufig die mit dieser Materie befassten Baurechtler ebenfalls wandeln wird. Im Interesse des Rechtsfriedens und auch im Interesse der Entlastung der staatlichen Gerichte wird von den vorhandenen alternativen Streitbeilegungsmöglichkeiten auch im zivilen Baurecht*4 immer mehr Gebrauch gemacht werden.

Im Jahrbuch BauR*5 wurde die kurz zuvor abschließend erarbeitete Schlichtungs- und Schiedsverfahrensordnung für Baustreitigkeiten der ARGE Baurecht im Deutschen Anwaltverein vorgestellt*6, die auch Jahre nach ihrer Einführung von den Parteien als Verfahrensordnung für außerstaatliche Streitbeilegung seltener als andere Schiedsordnungen vereinbart wird. Mangels anderer Vereinbarung wird bei Vereinbarung der SOBau zunächst ein Schlichtungs- und erst danach gegebenenfalls noch ein Schiedsverfahren durchgeführt. Vor der Vorstellung der SOBau hat der Jubilar ausführlich die besonders für das Schlichtungsverfahren grundlegende Frage untersucht, ob das „rational-kooperative Verhandeln“ eine geeignete Alternative zum Bauprozess sein kann*7 und das „Harvard Konzept“ sowie weitere zur Einarbeitung empfehlenswerte Bücher eingearbeitet.*8 In einer eigenen Zusammenfassung dieses Beitrages in einer anderen Festgabe*9 ist vom „Dilemma des Bauprozesses“ die Rede, was aus Sicht des Jubilars entscheidend dafür spreche, „auch im Bereich des Baurechts (Teil-) Verhandlungslösungen zu suchen, wann immer dies möglich erscheint“.*10

Der Verfasser hatte als Vertreter der Schiedsklägerin im Jahre 2001 die Gelegenheit, den Jubilar als Einzelschiedsrichter in einem typischen und sehr komplexen Bauprozess zu erleben. Bevor dies geschildert wird, soll zunächst dieses „Dilemma des Bauprozesses und des Positionsdenkens“ auch vor dem Hintergrund der neuen Zivilprozessordnung noch einmal näher betrachtet werden. Denn der notwendige Wandel vieler Baurechtler dahingehend, sich über die eigene Denkweise klar zu werden, neue Konfliktlösungsmethoden zu erschließen, um zumindest vor Prozessführung Verhandlungslösungen zu suchen und auszuschöpfen und nicht die Polarisierung der Parteien noch zu verstärken, ist nur möglich, wenn die traurige „Wirklichkeit von Bauprozessen“ in umfangreicheren Angelegenheiten gegenwärtig ist.

 II. Das Dilemma des Bauprozesses

 Beim Bauen kommt es aus den verschiedensten Gründen besonders häufig zu Konflikten. Bei fast allen Bauprojekten kommt es zu zusätzlichen Leistungen, Leistungsänderungen und Bauablaufstörungen und damit zu Nachtragsforderungen des Auftragnehmers. Auch der redliche Auftraggeber, der seine Finanzierung auf den Vertragspreis abgestellt hatte, versucht häufig, Nachtragsforderungen abzuwehren, um möglichst eine Nachfinanzierung zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Baukrise und der insbesondere in den neuen Bundesländern nach wie vor vorhandenen Überkapazitäten vermuten die Auftraggeber, Ansprüche auf Mehrvergütung seien von vornherein drastisch überhöht, weil der Auftragnehmer versuche, seinen zunächst zwecks Erlangung des Auftrages „nicht auskömmlich“ kalkulierten Preis im nachhinein aufzubessern. Noch Mitte der 90er Jahre waren mehr als – der anhängigen Verfahren vor dem Landgericht Leipzig Bauprozesse. Nach wie vor wird in keinem anderen Rechtsgebiet in Sachsen so viel prozessiert wie im privaten Baurecht.

 Neben dem Jubilar*11 hat das Mitglied des für das private Baurecht zuständigen VII. Zivilsenates des BGH, Prof. Dr. Kniffka, unter dem Titel „Anspruch und Wirklichkeit des Bauprozesses“*12 sich intensiv mit den Schwierigkeiten bei staatlichen Gerichten, in angemessener Zeit zu angemessenen Kosten effektiven Rechtschutz zu erlangen, beschäftigt. Ebenso wie der Jubilar hat er als Hauptdefizit herausgearbeitet, dass überwiegend keine auf Baurecht spezialisierten Richter und/oder inkompetente Sachverständige vorgefunden werden und damit die Ergebnisse des Rechtsstreites häufig kaum vorhersehbar sind.*13

 Jeder spezialisierte Baurechtler kennt das Problem, jeden Monat anhand der zunehmenden Fälle gerichtlicher Entscheidungen und auch spezieller Zeitschriften das Recht und seine neuesten Entwicklungen vollständig zu erfassen und sich auf dem Laufenden zu halten. Die Richter sind meistens keine Baurechtsspezialisten. Auf privates Baurecht spezialisierte landgerichtliche Kammern und obergerichtliche Senate gibt es nur bei den Gerichten in Köln, Koblenz, München, Nürnberg und am OLG Celle. In den neuen Bundesländern, in denen noch häufiger junge und damit weniger erfahrene Richter tätig sind, gibt es überhaupt keine spezialisierten Spruchkörper. Hinzu kommt, dass in der juristischen Ausbildung die die Baupraxis bestimmenden Vorschriften der VOB und HOAI nicht behandelt werden. Kniffka hat bzgl. junger Richter insbesondere auf fehlende Fortbildungsmöglichkeiten hingewiesen.*14

Weil die staatlichen Gerichte nicht mehr in der Lage sind, bei der Abwicklung von Verträgen über den Anlagenbau und über Großbauvorhaben angemessenen Rechtsschutz zu gewährleisten, führen die Parteien solche Streitigkeiten ganz überwiegend vor Schiedsgerichten durch. Die seit 1. Januar 2002 vollständig in Kraft getretene Reform des Zivilprozessrechts wird diesen Trend zur außerstaatlichen Konfliktlösung verstärken. Dies soll exemplarisch kurz anhand der neuen Zurückweisungsmöglichkeit der Berufung der erstinstanzlich unterlegenen Partei gemäß § 522 ZPO dargelegt werden.

Wenn das Berufungsgericht neben den Voraussetzungen der Nummern 2 und 3 des § 522 Abs. 2 ZPO auch die Erfolgsaussichten der Berufung verneint (Nr. 1), hat (also muss!) das Berufungsgericht die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Grundlage dieser rechtlichen Beurteilung ist dann nur der Akteninhalt; eine mündliche Verhandlung findet nicht statt. Das Kollegium muss also der Auffassung sein, dass auch eine mündliche Verhandlung nichts an der Aussichtslosigkeit der Berufung ändern könnte – eine regelmäßig kaum nachvollziehbare Schlussfolgerung. Die durchaus nicht seltenen zweitinstanzlichen Urteile, durch die eine Berufung ohne weitere Tatsachenfeststellung zurückgewiesen und später vom BGH aufgehoben worden ist, sind fast ausnahmslos einstimmig falsch erlassen worden.

 Diese Vorschrift wird uns Anwälten noch viel Ärger bereiten. Denn sie macht nicht nur Fehlbeurteilungen unanfechtbar (gemäß Abs. 3 der Vorschrift ist der nicht zu begründende Beschluss unanfechtbar!), sondern sie birgt auch die Gefahr des Missbrauchs in sich. Es ist zu befürchten, dass manches Berufungsgericht sich durch die nunmehr erlaubte, nicht angreifbare Beschlusszurückweisung entlasten wird.

Man stelle sich nur den ein oder anderen Mandanten in folgender Fallkonstellation vor: Der Prozess wurde in erster Instanz verloren. Gemeinsam mit dem Mandanten werden die Aussichten eines Berufungsverfahrens besprochen. Die Argumente überwiegen, die Berufung einzulegen. Der Anwalt begründet das Rechtsmittel ausführlich. Nach einigen Wochen bekommt er den spärlichen Beschluss: „Mangels Erfolgsaussicht einstimmig zurückgewiesen“. Manch ein Mandant wird hierauf fassungslos reagieren und nicht nur am Recht, sondern auch an seinem Anwalt zweifeln. Denn die auch noch einstimmige Zurückweisung spricht aus seiner Sicht dafür, dass der Anwalt ihn falsch beraten habe. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass eine von vornherein völlig aussichtslos gewesene Berufung falsch eingeschätzt worden sei und zumindest die Anwaltsrechnungen entweder nicht bezahlt oder zurückgefordert werden; die Fortführung der Mandatsbeziehung ist auch nicht mehr wahrscheinlich.

III. Das Dilemma des Positionsdenkens

Liegt es aus Sicht der Anwälte jedoch nur an den anderen, also den Richtern und Sachverständigen oder aber müssen auch wir uns wandeln?

 Unsere Wirklichkeit bestimmt sich nach der Auswahl von Sinneseindrücken und deren Verarbeitung. Bei unserer Wahrnehmung treffen wir eine Auswahl aus der unendlichen Zahl von Sinneseindrücken. Welche Eindrücke jeder von uns aus der Vielzahl ankommender Signale auswählt, hängt von der Fokussierung unserer Wahrnehmung ab.

Ebenso wie die Richter sehen wir Anwälte auftretende Konflikte als Rechtsprobleme an und versuchen, sie folgerichtig mit der von uns erlernten Problemlösungstechnik, nämlich der juristischen Methode zu lösen. Wir nehmen Konflikte als Kollision von Rechtsansprüchen wahr. Die an uns herangetragenen Probleme werden durch die Fokussierung der Wahrnehmung auf rechtsrelevante Tatsachen zu Rechtsproblemen. Haben wir das Rechtsproblem erst einmal identifiziert, fragen wir nach Ansprüchen. Denn wir haben in durchschnittlich 8-jähriger Ausbildung gelernt, dass man nur etwas bekommt, wenn ein Rechtsanspruch besteht. Schlüsselqualifikationen, wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Streitschlichtung, Mediation und psychologische Grundkenntnisse waren bislang nicht Ausbildungsinhalt!*15

Die Anwälte, denen in der Ausbildung diese Schlüsselqualifikationen nicht vermittelt worden sind, müssen sich von der erlernten juristischen Methode, also ihrem Denken in Positionen lösen. Ich erlaube mir an dieser Stelle, den Jubilar wie folgt zu zitieren:*16

 „Positionsdenken ist der größte Feind der Kreativität und bringt damit letztlich eine Verhandlung zum Scheitern, bevor überhaupt eine ernsthafte Suche nach Lösungsmöglichkeiten begonnen (!) hat.

 Zu einer Verhandlung über gemeinsame Interessen (statt gegenteilige Positionen) werden wir Juristen nur dann in der Lage sein, wenn wir die Fähigkeit erwerben, in Verhandlungen (also außerhalb des Prozesses) die „juristische Methode“ zu überwinden, um als Konfliktlöser und Unterhändler für unsere Auftraggeber tätig sein zu können.“

Neben den vom Jubilar in seinem sehr empfehlenswerten Beitrag eingearbeiteten Büchern*17 sollte von den Kursangeboten der ARGE Baurecht zur Ausbildung als Schlichter und Schiedsrichter Gebrauch gemacht werden. Teurere, aber angesichts unserer Ausbildungsdefizite dringend zu empfehlende und vertiefende Wirtschaftsmediationsseminare (Ausbildungsdauer meist 200 Stunden) sind empfehlenswert, um von unserem jahrelang erlernten Positionsdenken hin zu „rational-kooperativen“ Denkmustern zu gelangen.*18

IV. Der Jubilar als Einzelschiedsrichter

Häufig werden folgende Vorteile für Schiedsgerichte gegenüber staatlichen Gerichten angeführt:

 – Garantierte Fachkompetenz – der oder die Schiedsrichter sind im Baurecht spezialisiert, es werden kompetente Sachverständige ausgewählt, nachdem zuvor sichergestellt wurde, dass die Begutachtung zeitnah erfolgen kann.

 – Keine Öffentlichkeit – Geheimhaltung kann gewährleistet werden.

 – Kürzere Verfahrensdauer – es gibt nur eine Instanz. – Kalkulierbare Verfahrenskosten bzw. Verminderung der Kosten in den Fällen, in denen bei staatlichen Gerichten mehrere Instanzen benötigt würden.

 – Erfahrungen belegen eine größere Bereitschaft der Parteien zum Vergleich (denn die Möglichkeit gegen einen sonst zu erwartenden Schiedsspruch Berufung einzulegen, besteht nicht).

 – Kurzfristige Termine und Fristsetzungen.

 – Also: Größere Effektivität und zeitnahe Entscheidung.

 Der Jubilar und die von ihm vorgeschlagenen und eingeschalteten Sachverständigen sind diesen Erwartungen der Parteien in vollem Umfang gerecht geworden. Ermöglicht wurde der Abschluss eines Vergleiches innerhalb eines Zeitraumes von 7 Monaten nach Einleitung des Schiedsverfahrens, ohne dass der Jubilar einen Vergleichsvorschlag oder aber auch nur eine detaillierte zahlenmäßige Bewertung der strittigen Hauptpositionen vorgenommen hätte.

            Wie war das möglich? Zunächst der zu entscheidende Fall:

 Der Auftragnehmer (AN) ist mit der Errichtung des aus fünf Teilobjekten bestehenden Neubaus der Stadtwerke einer Kommune in den neuen Bundesländern mit Ausnahme der Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung und der Außenanlagen auf der Basis einer 300 Seiten langen Funktionalausschreibung zu einem Pauschalpreis beauftragt. Für die Auftraggeberin sind außerdem zwei Architekturbüros als ARGE tätig (eine der Firmen gerät noch während der Bauarbeiten in Vermögensverfall).

 Nach einem gestörten Bauablauf und der Überschreitung vertraglich vereinbarter Zwischenfristen – die Ursachen sind im einzelnen streitig – nimmt der AG Einbehalte von den in einem Zahlungsplan festgelegten Abschlagszahlungen vor, die er mit der Verwirkung der Vertragsstrafe wegen Überschreitung der Zwischentermine begründet. Nachdem der AN insbesondere das Verwaltungsgebäude etwa ein Jahr später fertig stellt, als dies ursprünglich vereinbart worden ist, führen die Parteien jeweils mit Vertragsstrafen- und Schadensersatzvorbehalten des AG Abnahmen der Teilobjekte durch. Nach Schlussrechnungslegung über einen zweistelligen Millionenbetrag (in DM) findet auf Seiten des AG keine Schlussrechnungsprüfung statt. In Schreiben des AG ist von einer nicht prüffähigen Schlussrechnung, nicht wirksamer Abnahme und von Anfechtung wegen Täuschung die Rede. Neben dem Abzug der Maximalvertragsstrafe von 5 % der Netto-Schlussrechnungssumme werden insbesondere – gestützt auf ein längeres Privatgutachten – mehrere hundert Baumängel teilweise mit Minderungsbeträgen angeführt.

 Im Februar 2001 unterschreiben AG und AN eine Schiedsvereinbarung, wonach für alle Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis ein Schiedsverfahren nach der SOBau der ARGE Baurecht als Einzel-Schiedsgericht vereinbart wird. Sinnvollerweise verständigen sich die Parteien auf die Durchführung des Schiedsverfahrens am Ort des Bauvorhabens. Nach Einigung der Rechtsanwälte auf den Jubilar als Einzelschiedsrichter wird der 11. Mai 2001 als Vorbesprechungstermin festgelegt und der das Schiedsverfahren einleitende Schriftsatz mit einem ersten Überblick über den Streitstoff versandt.

 1. Vorbesprechung und Formalien

Nachdem der Vertreter des AG am 09. Mai 2001 seine Sicht der Dinge schriftlich zusammengefasst hat, findet am übernächsten Tag die Vorbesprechung statt, an der neben dem Schiedsrichter und den Vertragsparteien auch der Geschäftsführer des nicht in Vermögensverfall geratenen Architekturbüros (nach zuvor erfolgter Streitverkündung durch die Schiedsbeklagte, die nach der SOBau möglich ist!) und dessen Verfahrensbevollmächtigter teilnehmen.

Nach einem gegenseitigen Kennenlernen in lockerer Atmosphäre wird zunächst die von dem Jubilar bereits vorbereitete und den Parteivertretern übersandte „Vereinbarung zur Regelung der Tätigkeit des Schiedsgerichts“, mit der alle wesentlichen Formalien des Verfahrens geregelt werden, unterzeichnet. Sodann wird der Zweck der Vorbesprechung erörtert und der Jubilar führt in der noch gebotenen Kürze in den Sach- und Streitstand ein. Er macht für die Problematik „Baumängel und geschuldetes Bausoll“ und für die Problematik „gestörter Bauablauf“ jeweils drei begründete Sachverständigenvorschläge. Für das weitere Verfahren werden folgende Termine vereinbart:

– Der Klägervertreter wird die Schiedsklage einreichen bis zum 02. Juli 2001.

– Der Beklagtenvertreter wird – nach Möglichkeit – innerhalb der gleichen Frist zum Komplex Mängel und Gewährleistung ausführlich vortragen.

– Beide Parteivertreter werden jeweils erwidern bis spätestens 27. August 2001.

– Termin zur mündlichen Verhandlung (Haupttermin) wird bestimmt auf Donnerstag und Freitag, den 08. und 09. November 2001.

 Nachdem die Parteivertreter sodann kurz zur Sache Stellung genommen haben, besichtigen die Beteiligten gemeinsam insbesondere das Verwaltungsgebäude unter Führung des Geschäftsführers des Architekturbüros; entsprechend der Bitte des Jubilars soll dieser insbesondere gravierendere Mängel vorführen.

 2. Schiedsverhandlung

Nach Eingang der jeweiligen Schriftsätze der Rechtsanwälte (mit jeweils mehr als hundert Seiten) beauftragt der Jubilar beide zwischenzeitlich ausgewählten Gutachter „vorerst mit einer Kurzstellungnahme“ mit zunächst vorläufiger Bewertung der dargestellten Behinderungen und Kosten einerseits sowie der angeblichen Mängel und der geltend gemachten Nachtragsforderungen mit vorläufiger Bewertung der Nachbesserungskosten / Minderungsbeträge sowie aus technischer Sicht gerechtfertigen Nachtragsforderungen andererseits. Nach Durchführung eines zweitägigen Ortstermins durch den Sachverständigen für bautechnische Fragen und der jeweiligen Stellungnahme der Anwälte in weiteren Schriftsätzen (geleitet von Verfügungen des Jubilars mit kurzen Hinweisen) führt dieser am ersten Verhandlungstag vormittags nach Antragstellung zunächst in den Sach- und Streitstand ein und stellt den unstreitigen und den streitigen Sachverhalt präzise anhand eines sehr detaillierten und umfangreichen Votums dar. Hierbei überzeugt er neben der rechtlichen Qualität seiner Ausführungen durch seine ihn für solche Verfahren prädestinierenden Art*19Es gelingt ihm, inhaltlich durch die richtige Mischung rechtlicher Positionierungen (Schlussrechnung prüfbar, Abnahmen verbindlich trotz vereinbarter förmlicher Abnahme und teilweise fehlender Unterschriften auf dem gleichen Vertragsdokument) und andererseits nicht voreiliger rechtlicher Einschätzungen (Vorliegen von Mängeln, Angemessenheit von Minderungen und Berechtigung von Nachträgen) eine angesichts der Polarität der Parteipositionen erstaunlich entspannte und konstruktive Verhandlungsatmosphäre aufzubauen.

 Nach etwa drei Stunden erteilt der Jubilar dem bereits anwesenden technischen Gutachter erstmals das Wort, um zunächst zu den gemäß Privatgutachten des AG behaupteten Mängeln auszuführen. Auch dem Gutachter gelingt es, die während des zweitägigen Ortstermins angedeutete fachliche Kompetenz zu den wesentlichen Positionen trotz auftragsgemäß vorläufiger Bewertung zu untermauern. Mit rechtlicher Unterstützung des Jubilars gelingt es, dem AG eine realistischere Sicht seiner Rechtsposition zu den Mängeln und damit zur Unhaltbarkeit des Privatgutachtens in wesentlichen Passagen zu ermöglichen.

 Im Anschluss wird die Problematik Vertragsstrafe behandelt. Auch hier folgt präzisen Rechtsaussagen zur Problematik Hinfälligkeit der Vertragsstrafe eine an dieser Stelle gebotene Zurückhaltung des Jubilars bei der Beantwortung dieser Frage; im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht besprochene Nachtragsproblematik und die für den nächsten Tag angekündigten Ausführungen des baubetrieblichen Gutachters äußert der Jubilar, er könne im vorliegenden Fall „noch nicht endgültig beurteilen“, ob die Voraussetzungen für eine „Hinfälligkeit der Vertragsstrafe“ vorliegen würden oder nicht. Nunmehr folgen detaillierte Ausführungen zur Wirksamkeit der vorformulierten Regelung über die Geltung der Vertragsstrafe auch für neue Termine. Der Jubilar äußert, diese Regelung sei – die Wirksamkeit zunächst unterstellt – so auszulegen, dass sie allenfalls für die insgesamt 27 Zwischentermine, nicht aber für den möglichen neuen Endtermin gelte. Er fasst vorläufig zusammen, es sei jedenfalls sicher, dass eine Vertragsstrafe nicht in der vom AG berechneten Höhe anfallen würde und die Anhörung des baubetrieblichen Gutachters könne sogar zum vollständigen Fortfall führen.

 Von insgesamt etwa 110 Nachträgen sind noch etwa 50 Nachträge zwischen den Parteien strittig. Hierzu führen nunmehr der Sachverständige technisch und der Jubilar rechtlich aus. Letzterer versteht es hierbei aufgrund der hervorragenden Vorbereitung, beide Parteivertreter bei Auftreten von Gedächtnislücken bezüglich des Inhaltes ihrer umfangreichen Schriftsätze zu den einzelnen Nachtragspositionen einerseits an ihre Ausführungen zu erinnern und andererseits den Vortrag zu ergänzen, ohne dass dies den anwesenden Nichtjuristen negativ auffällt. Dem Jubilar im Zusammenwirken mit dem Gutachter gelingt es auch hier, beiden Parteien eine realistischere Sicht ihrer Rechtspositionen zu ermöglichen.

 Der zweite Tag beginnt mit einer „informatorischen Befragung“ des nunmehr anwesenden, maßgeblichen bauleitenden Mitarbeiters des streitverkündeten Architekturbüros zu einzelnen Nachtragspositionen. Der Jubilar leitet zu den Ausführungen des nunmehr anwesenden baubetrieblichen Gutachters zu den bauzeitbedingten Mehrkosten von über DM 3 Mill. über und fährt sinngemäß aus, angesichts der etwa 60 unstrittigen Nachtragspositionen und des vorläufigen Ergebnisses zu den strittigen Nachtragspositionen sei er – auch unter Berücksichtigung der Abstriche für die Schiedsklägerin – nahe dran, den Fortfall der Vertragsstrafe und der verbindlichen Vertragsfristen anzunehmen.

 Zu den bauzeitbedingten Mehrkosten und damit zum Hauptproblem Planlieferungsverzug führt der baubetriebliche Gutachter nunmehr aus, dass die ursprünglich vorgesehenen 13 Monate Bauzeit eine Minimalbauzeit gewesen seien, die eine abgeschlossene Planung vorausgesetzt hätten. Der AN habe, was die Planungen der Streitverkündeten betreffe, „von der Hand in den Mund gelebt“, wodurch seine Dispositionsfreiheit stark eingeschränkt gewesen sei mit den entsprechenden Negativauswirkungen auf die Produktivität. Allein bezüglich des Hauptgebäudes sei aus Planlieferungsverzug mindestens eine Bauzeitverlängerung von 3,5 Monaten und eine Produktivitätsminderung von 2 Monaten, insgesamt also eine Mindestverlängerung von 5,5 Monaten (= 42 % der Soll-Bauzeit) auch bei vorläufiger Bewertung sicher anzusetzen.

 3. Mediative Elemente und Vergleich

Der Jubilar ergänzt nunmehr, dass unabhängig von allen erörterten Rechtsfragen vom Fortfall der Vertragsstrafe auszugehen sei. Die „Parteien sollen zunächst selbst einen Vergleich suchen“ und Schiedsklägerin und Schiedsbeklagte deshalb jeder für sich unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen eine Zahl ermitteln und sodann in einem „Vier-Augen-Gespräch“, also ohne Anwesenheit des Schiedsrichters und der Gutachter versuchen, einen akzeptablen Kompromiss zu finden.

 Nach knapp einstündiger Positionsfindung treffen sich die Parteien und ihre Anwälte zu dem „Vier-Augen-Gespräch“. Zwar ist die Schiedsbeklagte inzwischen zur Zahlung eines mehrstelligen Millionenbetrages bereit. Die Differenz der ermittelten Beträge von über DM 1 Mill. netto ist jedoch – was beiden Parteien und ihren Vertretern schnell klar wird – ohne weitere Hilfe durch den Jubilar nicht zu überbrücken; die beiden Mitarbeiter des AN bestehen auf eine um diese Differenz höhere Nettozahlung durch den AG, was der rechtlichen Einschätzung des Verfassers entspricht.

 Nach Information durch die Parteivertreter bittet der Jubilar gegen 14:00 Uhr nunmehr die bislang nicht anwesende Geschäftsführung des AG hinzu. Er gibt beiden Geschäftsführern der Stadtwerke einen Überblick über den bisherigen Stand des Schiedsverfahrens gekoppelt mit einem Ausblick auf den mangels Vergleiches zu erwartenden Verfahrensablauf (es ist die Rede vom „erheblichen Umfang der Aufklärung, insbesondere unzähliger Zeugen und den Grenzen der Justitiabilität“einerseits, andererseits versichert er nachdräcklich – woran angesichts der hervorragenden Vorbereitung und Verfahrensführung keiner zweifelt – er werde dieses Verfahren „auch durchziehen und scheue sich nicht, notfalls durch Schiedsspruch zu entscheiden“). Vor diesem Hintergrund legt der Jubilar den Parteien nahe, „Schluss zu machen und den Streit durch das beiderseitige Federlassen“ mit einem auch kostenseitig noch vertretbaren wirtschaftlichen Ergebnis zu beenden.

 Beide Parteien informieren nunmehr den Jubilar und die noch anwesenden Gutachter über die jeweils vorgeschlagenen Zahlbeträge und die wesentlichen Ermittlungsschritte. Der AG informiert über den Gremienvorbehalt durch notwendige Zustimmung des Aufsichtsrates, weshalb heute eine bindende Erklärung ohnehin nicht möglich sei. Der Jubilar fragt, wie angesichts der vorliegenden Differenz verfahren werden solle. Er stellt hierzu unterschiedliche Möglichkeiten vor. Die Geschäftsführung des AG äußert daraufhin: „Soweit sei man ja nicht auseinander.“.

Nunmehr fragt der Jubilar vorsichtig an, ob auf Seiten des AN Einwände gegen ein Einzelgespräch mit dem AG bestünden. Dies wird verneint, woraufhin sich der Jubilar mit allen Beteiligten auf Seiten des AG und der Streitverkündeten zurückzieht.

 Nach etwa 45 Minuten kehrt er allein zurück. Er informiert darüber, man sei noch einmal in die Beurteilung der Mängel und auch in andere Bereiche eingestiegen. Der AG werde nunmehr ein Angebot machen, „was akzeptabel ist“.

 Die Vertreter des AN verlassen nunmehr den Verhandlungsraum und gehen ohne den Jubilar und die Gutachter zu den in den Räumen der Geschäftsführung wartenden anderen Beteiligten. Dort wird ein Angebot zur Zahlung eines Betrages unterbreitet, das nur unerheblich unter der vom AN zuvor bereits direkt gegenüber dem AG geforderten Summe liegt. Der AN ist bereit, diesen kleinen Abstrich zu machen und auf Zinsen zu verzichten, zumal durch Erledigung aller streitgegenständlichen Ansprüche auch alle angeblichen Mängel ohne weiteren Nachbesserungsaufwand abgegolten werden.

 Nach Rückkehr in den Verhandlungssaal und Information des Jubilars nimmt dieser einen detaillierten Vergleich der Parteien zu Protokoll, der den Austausch der Bürgschaften ebenso umfasst wie den Gremienvorbehalt durch die nächste Aufsichtsratssitzung des AG etc.

 Trotz beiderseitigem „Federlassen“ danken nicht nur die Rechtsanwälte, sondern insbesondere die Parteivertreter dem Jubilar aufrichtig. Alle sind von dem gefundenen Ergebnis überzeugt. Nach Zustimmung des Aufsichtsrates holt vereinbarungsgemäß der AN kurz vor Weihnachten 2001 einen Scheck bei der Geschäftsführung des AG ab; dabei wird in freundlicher Atmosphäre mit Champagner auch auf mögliche weitere Geschäfte angestoßen.

 Es ist trotz erheblicher vorprozessualer Polarisierung der Positionen aufgrund der Fachkompetenz des Jubilars und der Gutachter, insbesondere aber der Persönlichkeit des Jubilars gelungen, einen zunächst schier unmöglich scheinenden Vergleich in einem Bauprozess an den Grenzen der Justitiabilität zu finden, auf dessen Entscheidung man bei einem staatlichen Gericht allein in der ersten Instanz mindestens drei Jahre hätte warten müssen.

*Fußnoten: 

1) Kraus / Sienz, BauR 2000, 631 ff.
2) zitiert werden die auch unter maßgeblicher Mitwirkung des Jubilars als Vorsitzender zustande gekommenen Empfehlungen an den DVA zur Überarbeitung der VOB/B des Institutes für Baurecht Freiburg e. V. in BauR 1999, 699, 704 
3) § 309 Nr. 8 b ff. BGB 
4) Aktueller Überblick hierzu von Eberl / Friedrich, BauR 2002, Seiten 250 ff. 
5) Kapellmann / Vygen, Jahrbuch BauR 1998, Werner-Verlag 
6) A. a. O., Seite 177 ff. 
7) A. a. O., Seiten 137 bis 176 
8) A. a. O., Seiten 139 ff. 
9) Bauen / Planen / Recht, Festschrift für Klaus Vygen, Werner-Verlag 1999 mit dem Beitrag des Jubilars: „Zur Tätigkeit des Mediators – aufgezeigt anhand eines Falles aus der Baupraxis „, S. 404 ff. 
10) A. a. O., S. 404 
11) Jahrbuch BauR a. a. O., Seiten 141 ff. 
12) NZBau, 2000, Seiten 1 ff. 
13) Jahrbuch BauR, a. a. O., Seite 142 und sehr differenziert Kniffka a. a. O., Seiten 3 f. 
14) A. a. O., Seite 3; auf Initiative des Sächsischen Justizministeriums in Person des Herrn Kinder- mann sind seit Anfang 2002 dort die Fortbildungsmöglichkeiten von Richtern durch Besuche von Seminaren erfahrener Baurechtler ausgeweitet worden. 
15) Nach dem am 1.1.2003 mit einer 3-jährigen Übergangsfrist in Kraft tretenden Gesetz zur Reform der Juristenausbildung werden die Studieninhalte endlich um die Vermittlung sogenannter Schlüs- selqualifikationen wie Verhandlungsmanagement, Gesprächsführung, Rhetorik, Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit erweitert. 
16) Jahrbuch BauR, a. a. O., Seite 155 
17) A. a. O., Seiten 139 ff. 
18) Informationen im Internet beispielsweise unter www.centrale-fuer-mediation.de oder www.bmwa.de; gute Übersicht über Lehrgänge, Institutionen, Adressen bei Haft / Schlieffen in Handbuch für Me- diation, C. H. Beck 2002 
19) s. hierzu ausführlich den Beitrag von Brößkamp in dieser Festgabe