Der Bausachverständige

Februar 2006

Sachverständige und fehlerhafte Beweisbeschlüsse

Nur wenige Gerichte in Deutschland haben spezielle Baukammern. Bauprozesse sind bei Richtern schon aufgrund des Umfanges der tatsächlich zu klärenden Fragen unbeliebt. Immer häufiger werden Beweisbeschlüsse von Gerichten erlassen, die insbesondere in Bauprozessen nicht den Vorgaben der Zivilprozessordnung entsprechen. Obwohl der Gesetzgeber sowohl das Gericht als auch den Gutachter zu entsprechender gegenseitiger Kommunikation verpflichtet hat, ist festzustellen, dass die Gutachter – wahrscheinlich um auch weiterhin von dem jeweiligen Richter entsprechende Aufträge zu erhalten – ihre Pflichten nicht ernst nehmen. Statt beim Gericht nachzufragen, wird häufig eigenmächtig der Beweisbeschluss ausgelegt und sodann auf dieser Basis abgearbeitet, um dem Gericht keine zusätzliche Arbeit zu machen. Werden später auf entsprechenden Antrag die Kosten niedergeschlagen, arbeitet der Sachverständige im Ergebnis ohne Vergütung. Er riskiert jedoch auch eine Haftung gegenüber den Parteien, da er nach dem Gesetz seit 2002 zum Schadenersatz bei zumindest grob fahrlässig unrichtigem Gutachten verpflichtet ist.

INHALT

1. Problemstellung

2. Verfahrensfehler durch die Gerichte

3. Vorgehensweise des Sachverständigen

1. Problemstellung

 § 839 a BGB regelt für Begutachtungen seit dem 01.08.2002 Folgendes: „Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.“ Der Sachverständige soll Tatsachen feststellen und diese fachlich interpretieren, sich jedoch einer rechtlichen Wertung enthalten. Denn solche Wertungen können bei mangelnder Kenntnis der Rechtslage leicht zu falschen Schlussfolgerungen führen. Oft werden solche rechtlichen Wertungen in Gutachten von Richtern einfach übernommen. Ursache sind häufig falsch formulierte Beweisbeschlüsse. Eigentlich müsste das Gericht dem Sachverständigen die Beweistatsachen so detailliert und präzise wie möglich vorgeben. Es genügt nicht, ihm schlicht die „erforderlichen Feststellungen“ aufzugeben; auch der häufig anzutreffende Zusatz „unter Berücksichtung des jeweiligen Parteivortrages“ hilft nicht weiter. Der Sachverständige ist kein Jurist, sondern Techniker. Es gehört zu den Pflichten des Gerichtsgutachters, das Gericht darauf aufmerksam zu machen und nicht eigenmächtig den Beweisbeschluss auszulegen. Diese Pflicht zur Kommunikation hat der Gesetzgeber 1991 ausdrücklich in dem Pflichtenkatalog der Gerichtsgutachter aufgenommen (§ 407 a Abs. 3 ZPO) und auf der anderen Seite eine entsprechende Anleitungs- und Erläuterungspflicht des Gerichts gegenübergestellt (§ 404 a ZPO). Gemäß § 21 GKG werden „Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben“, sofern eine der Parteien dies beantragt. Kosten sind unnötigerweise etwa dann entstanden, wenn der Sachverständige wegen der unterbliebenen konkreten Auflistung der streitigen Tatsachen oder wegen fehlender Anweisung durch das Gericht einen erhöhten Aufwand, insbesondere durch langes Aktenstudium hatte.

 2. Verfahrensfehler durch die Gerichte

 Aus §§ 359 Nr. 1, 371, 373 ZPO folgt, dass der Beweisbeschluss „die Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über die der Beweis zu erheben ist“ zu enthalten hat. Nicht erlaubt ist daher die Beweiserhebung über Rechtsbegriffe. Die Klärung der Frage, welche Tatsache konkret vorgetragen, erheblich, streitig und daher beweisbedürftig ist, ist das Entscheidende bei der Vorbereitung einer Beweisaufnahme durch das Gericht. Es ist verpflichtet, dem Sachverständigen die juristischen Begriffe und einschlägigen Tatbestände ebenso zu verdeutlichen wie alle sonstigen Umstände, von denen er bei seiner Begutachtung auszugehen hat. In keinem anderen Bereich werden jedoch so viele Fehler gemacht, wie die zahlreichen aufhebenden und zurückweisenden Revisionsentscheidungen der Vergangenheit zeigen. Oft unterlaufen Richtern folgende Fehler: a) Rechtsfragen statt Tatsachenklärung Ist die Honorarschlussrechnung des Architekten prüffähig? Hier muss das Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen nach der HOAI durch einen Sachverständigen abklären lassen, damit das Gericht sodann die Möglichkeit hat, diese Rechtsfrage selbst zu beantworten. Ist ein Objektüberwachungs- / Bauaufsichtsfehler des Architekten gegeben? In diesem Fall hätte das Gericht klären müssen, ob eine Baumaßnahme der Überwachung durch einen Architekten bedarf oder ob es sich um eine handwerkliche Selbstverständlichkeit beispiels-weise handelt. „Ist eine Nachbesserung unverhältnismäßig?“ Entscheidend ist für die Beantwortung dieser Rechtsfrage die Tatsachenfrage an den Gutachter nach dem zur Mängelbeseitigung erforderlichen Aufwand. Mit welcher Quote haftet der Architekt / Unternehmer? Der Gutachter hat nur die technischen Verursachungsanteile zu ermitteln, also den jeweiligen Um-fang der Kausalitätsbeiträge der Baubeteiligten. Liegt der Baumangel x, y, z vor? Um die Mangelhaftigkeit beurteilen zu können, muss das Gericht dem Sachverständigen zwingend vorgeben, von welcher Sollbeschaffenheit er auszugehen hat. Denn dieser darf lediglich eine Abweichung des Ist- vom Sollzustand feststellen. Ergibt die durch das Gericht vorzunehmende Vertragsauslegung zur Ermittlung der Sollbeschaffenheit kein eindeutiges Ergebnis, hat es dies dem Sachverständigen mitzuteilen und ihm aufzugeben, mithilfe des Mindeststandards der allgemein anerkannten Regeln der Technik die Sollbeschaffenheit zu ermitteln und diese hierbei zu benen-nen sowie zu begründen. b) Ausforschungsbeweis Verbleibt ein Minderungsbetrag? Regelmäßig wird diese Frage in einem Mangelgutachten angehangen, ohne dass die Parteien zu einer Minderung als solcher oder zur Höhe und Berechnung der Minderung etwas vorgetragen hätten. Hier verletzt das Gericht auch den Beibringungsgrundsatz, wenn es zur Abkürzung des Prozesses vorweg nach der Höhe einer angemessenen Minderung in der Erwartung fragt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen einer Minderung zukünftig vom Kläger noch schlüssig vorgetragen werden. Welche Maßnahmen sind zur Mangelbeseitigung erforderlich und wie hoch sind die hierdurch entstehenden Kosten? Häufig wird diese Frage in den Beweisbeschluss aufgenommen, ohne dass sich die Parteien über bestimmte Mangelbeseitigungsmaßnahmen und deren Kosten gestritten haben. Dies ist ebenfalls ein klassischer unzulässiger Ausforschungsbeweis. c) Bezugnahme statt Tatsachennennung In selbständigen Beweisverfahren oder bei Ergönzungsfragen zu einem bereits erstatteten Gutach-ten findet sich häufig folgende Formulierung: „Der Sachverständige möge die Fragen des Klägers im Schriftsatz vom … und die des Beklagten im Schriftsatz vom … beantworten“. Die Gerichte wollen sich hiermit offensichtlich die Arbeit ersparen, den relevanten Tatsachenvor-trag aus dem Vorbringen der Parteien herauszusuchen und diese Arbeit dem Gutachter übertra-gen. In solchen Fällen ist das Beweisthema überhaupt nicht angegeben.

3. Vorgehensweise des Sachverständigen

Wenn die Beweisbeschlüsse nicht den zivilprozessualen Anforderungen genügen, wie dies bei den vorstehend dargelegten Beispielen der Fall ist, der Sachverständige also Zweifel über den Inhalt oder Umfang des Auftrages hat, hat er unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen (vgl. § 407 a Abs. 3 ZPO). „Inhalt und Umfang des Auftrages“ im Gesetzestext ist dabei weit auszulegen. Keinesfalls darf der Gutachter eigenmächtig den Beweisbeschluss auslegen und etwa an-hand eines von ihm selbst aufgestellten Fragenkataloges vorgehen. In solchen und ähnlichen Fällen sollte der Gutachter das Gericht nicht nur um „Rat“ fragen, sondern durchaus um eine Weisung des Gerichts bitten, wie er sich verhalten solle. Vorab besteht erfahrungsgemäß gegen das Wort „Weisung“ bei unabhängigen Gutachtern eine gewisse Abneigung; es drückt in der Juristerei jedoch am deutlichsten aus, wer die Verantwortung für eine Maßnahme zu tragen hat: Derjenige, der die Weisung erteilt. Zugleich mit der Einfügung des § 407 a ZPO hat der Gesetzgeber nämlich im neuen § 404 a ZPO auch eine Pflicht des Gerichts festgeschrieben, dem Sachverständigen auf Verlangen den Auftrag zu erläutern, seine Tätigkeit zu leiten und ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit „Weisungen zu erteilen“. Den beiden Beteiligten, dem Gericht und dem Sachverständigen, ist damit vom Gesetz eine verbesserte intensive Kooperation und Kommunikation aufgetragen. Ist für den Gutachter beispielsweise bei streitigem Sachvortrag der Parteien unklar, welchen Sachverhalt er seiner Begutachtung zugrunde zu legen hat, sollte er folglich das Gericht um entsprechende Weisung bitten; selbiges ist verpflichtet, dem Sachverständigen mitzuteilen, wovon er auszugehen hat (§ 404 a Abs. 3 ZPO). Denn dies gehört als Teil der Beweiswürdigung zum Kern der richterlichen Aufgaben. Die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten haben hingegen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, gegen mangelhafte Beweisbeschlüsse vorzugehen. Erfahrungsgemäß lassen sich die Gerichte auch durch anwaltliche Schriftsätze nur selten von der Gesetzeswidrigkeit der von ihnen erlassenen Beschlüsse überzeugen. Wenn Sachverständige hingegen möglichst noch unter Angabe der vorstehend genannten Paragrafen der ZPO die Problematik gegenüber dem Gericht erläutern und um entsprechende Weisung bitten, ist der Richter gezwungen, diese Bitte auch an die Parteien weiterzuleiten. Wohl durch den hierdurch entstehenden Druck, sich u. a. keinem Befangenheitsvorwurf auszusetzen, führen deshalb Nachfragen von Gutachtern in der Praxis regelmäßig zur zeitnahen Präzisierung durch die Gerichte.